Das Expertenforum anlässlich des Tui Marathon in Hannover. Zum dritten Mal durchgeführt und für mein Empfinden noch immer ein Geheimtipp. Rund 100 Menschen kamen um 18.00 Uhr am 5. März 2014 in das NDR Landesfunkhaus am Maschsee in Hannover.
Eichels Event, der Veranstalter des Marathon, hatte kostenfrei geladen, um persönliche Lauffragen zu beantworten, zu motivieren und die Liebe zum Laufen weiter zu fördern. Die familiäre Atmosphäre und das persönliche Miteinander der Teilnehmer untereinander macht diese Veranstaltung so charmant. Hier werden keine neuen Studienerkenntnisse über Laufen diskutiert, keine Vorgaben gemacht wie jeder zu laufen hat, weil es nur eine Lösung gibt, oder noch mehr Marathontickets verkauft werden sollen.
Die Veranstaltung ist Motivation, Unterhaltung und vermittelt echtes einfaches Expertenwissen, um mit Freude einfach nur gesund zu laufen.
Moderation: NDR-Moderator Tiede Thedinga
Die Experten:
– Zehnkampf-Olympiasieger Christian Schenk
– Laufikone, Olympiasieger und Weltmeister auf 5000m Dieter Baumann
– Hannovers derzeit beste und schnellste Marathonläuferin, Dr. Ulrike Wendt (geb. Dreissigacker)
Vieles im Forum lebte von der Unterhaltung und der Komik zwischen Dieter Baumann und Christian Schenck, welche sich größtenteils als „bad runner“ und „good runner“ präsentierten. Ulrike Wendt war die „neutrale“ Person, die immer wieder durch ihre eigene Erfahrung wertvolle Hinweise geben konnte.
Vorstellungsrunde
Ulrike ist seit 7 Monaten Mutter, im zweiten Jahr der Facharztausbildung und derzeit im Mutterschutz. Dennoch hat sie für sich Wege gefunden, nach der Schwangerschaft am „Sportball“ dran zu bleiben. Der Einstieg erfolgte auf Rollerblades erzählte sie. Weiter geht es derzeit größtenteils mit der Joggingkarre.
Dieter Baumann kommt von den kurzen Distanzen. Aus dem Profibereich und leistungsorientierten Training. Daher ist es eigentlich ungewöhnlich sich mit Marathon und Halbmarathon zu befassen.
Denn wie er selbst sagt: “Beim Bahnlaufen geht es mit voller Kraft zu 100% drauf los und entweder klappt es oder nicht. Anders gibt es keine Chance zu siegen. Ein Marathon ist mir eigentlich zu lang. Es ist ein ewiges langes Warten. Es ist Geduld und Prüfung.“
Die er dennoch zu schätzen weiß. Aber es war ein langer Weg dahin. Auch, um vom Leistungssportler zum „Genussläufer“ zu werden:
„Ich kann nur das und möchte auch nur das machen. Laufen macht mir Spaß. Es ist ein anderes Motiv als früher. Keine Leistung im Wettkampfsinn. Die Entwicklung hin zum Wohlfühlen und genießen dauerte Jahre. Nun ist es meine Motivation und ich bin sehr glücklich damit.“
Christian Schenk kommt als 10- Kämpfer ebenfalls aus dem leistungsorientierten Sport. Auch er hat sich hin entwickelt, Sport ganzheitlicher zu sehen. Nicht nur das Ziel zu haben zu gewinnen,-was sicher nichts Schlechtes ist,- dabei aber immer Gesundheit und Wohlfühlen im Hinterkopf zu behalten. Das ist ihm sehr wichtig. Den Marathon hatte er noch nie auf dem Zettel, den Halbmarathon dagegen hat er schon erfolgreich absolviert.
„Die 1500m kann man entweder mit Plan laufen oder mit Angst. Bis 1000m klappt das. Dann wussten wir, dass es weh tut. Meist war es aber schon ab 700m der Fall. Aber immer nach 1500m definitiv vorbei. Während meiner Vorbereitung für den Halbmarathon 2006 habe ich meine Biathleten Kollegen gefragt, was man vor dem Halbmarathon essen sollte. Die meinten nur, da musst du gar nichts essen. Nach 16km war ich mit meiner Energie am Ende, und der „Mann mit dem Hammer“ hatte mich gefunden. Ich hatte das Gefühl, das dass Ziel welches ich schon sehen konnte, trotzdem immer weiter wegläuft je näher ich kam… Das möchte ich nicht nochmal erleben.“ Erwähnt er noch lachend.
Die wichtigsten Aussagen der Experten aus der Diskussion:
Baumann: Laufen ist Gesundheit. Wer richtig gut sein will muss investieren und sich belasten. Das kann schon manchmal an der Gesundheit vorbeigehen. Es ist eine bewusste Entscheidung, ob man dies möchte.
Schenk: Laufen als Regeneration und Zeit für sich ist essentiell. Neben Familie, Beruf und dem Alltag eine wichtige Säule, dir nur einem selbst gehört. Es ist eindeutig für sich alleine. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil bei der Entscheidung für das Laufen.
Baumann: 50% der Menschen bewegen sich, 50% nicht. Und die werden es auch nie tun. Es aber zu versuchen, sie zu motivieren, ist stetiger Ansporn.
Wie wichtig sind Testläufe im Renntempo in der Vorbereitung?
Ein Lauf im Renntempo kann von Vorteil sein, muss es aber nicht. Läuft es gut, kann man daraus Energie und Motivation ziehen. Läuft es schlecht, kann es viel im Kopf kaputt machen. Es beeinflusst die Leistung. Je kürzer der Zeitpunkt vor dem Rennen, desto mehr wird es sich auswirken.
Bei Ulrike liefen die Testläufe über 10km in der Vorbereitung für den Marathon sehr gut. Sie konnte daraus Sicherheit und Kraft schöpfen. Bei Dieter Baumann lief es gar nicht gut und es war eine Quälerei, wie er sagt. „Es war nicht locker und nach den 10 Testkilometern, die eine Qual waren, denkst du dann Scheiße, jetzt noch 32km… Das ist keine gute Sache für den Kopf.“
Wie wichtig ist der „lange Lauf“ in der Marathonvorbereitung?
Auch hier gibt es kein Patenrezept, welches immer funktioniert und jeder befolgen sollte. Es ist ein dauerhaftes Streitthema unter den Läufern. Jeder Läufer muss sich herantasten an diese immensen Entfernungen und lernen, auf seinen Körper zu hören. Ulrike ist z.B. nie vor ihrem Marathon (2:54:05) 30km gelaufen. Baumann: „Grundsätzlich kann ich zum langen Lauf für das Marathontraining sagen, max. 30km bzw. 3Std. am Stück.
Die letzten 2 Wochen vor dem Wettkampf
Die letzten 2 Wochen sollten grundsätzlich der Entspannung dienen. Sozusagen die Kraft kommen lassen. Runterfahren und gut ernähren. Die Freude halten und Aufbauen auf das was kommt. Auf das man so lange hingearbeitet und trainiert hat. Leistung rausnehmen. Kein langer Lauf in dieser Zeit. Ganz normale entspannte Regenerationsläufe sind in dieser Phase wunderbar. 10 Tage vorher, wenn man möchte und den Anspruch hat, ein letztes Intervalltraining. Kein Test in dieser Zeit ob schnell und lange laufen noch geht!!! Vielleicht eine Art Abschluss vor diesen 2 Wochen finden.
Mit Intervalltraining ,einem langem Lauf o.ä.
Schenk: „Über die Trainingsmonate hat man sich gespannt wie ein Flitzebogen, diese Spannung darf nicht zu früh freigeben werden. Halten bis zum Start ist erforderlich. Damit muss man lernen umzugehen und die Disziplin dafür zu behalten. Das zu tun ist aber elementar wichtig für einen guten Lauf.
Sollte ich mich vor dem Marathon aufwärmen?
Baumann: „Kein Aufwärmen für Freizeitläufer. Jedes Gramm Kohlenhydrate und jede Energie wird gebraucht. Alles sparen. Dann läuft man auch die ersten Kilometer nicht zu schnell. Liebe Leute, die Spitze ist nur2Stdt. unterwegs. Die meisten Anderen 4Std.+.
Verletzungen und Training:
Nach einer Verletzung kann Aquajogging zu einer schnelleren Heilung führen. Es sollte nicht das Sofa sein und das Warten, das es irgendwann wieder möglich sein wird. Baumann: „Man muss da im Training wieder einsteigen, wo man aufgehört hat. Nach Alternativen suchen. Die Angst vor einer neuen Verletzung bleibt und kommt wieder. Das Ohr hört immer mit. Das gehört dazu und man lernt damit umzugehen. Auch das ist Sport. Eine Kunst und sehr spannend.“
Je besser der Muskelaufbau, desto besser der Schutz vor Verletzungen. Nicht nur auf das Laufen beschränken. Interessiert sein an anderen Sportarten die das Laufen unterstützen. Allein täglich 5-10min einfachste Bauch- und Rückenübungen unterstützen die Qualität des Laufens. (in einem anderen Artikel zu diesem Thema mal mehr)
Schenk: „Man muss viel dafür tun, um das eigentlich tun zu können was man möchte. Nicht nur austrinken.“
Ernährung und Motivation:
Baumann: „Schuhe sollen immer im Fachgeschäft gekauft werden. Mit Beratung und Laufbandanalyse. Vorfuss und Neutrallaufen ist gerade total Inn. Es ist aber nicht für jeden das Richtige. Man sollte sich nicht dahinzwingen. Es geht um Wohlfühlen!“ Solange es keine Schmerzen gibt, ist für jeden der Laufstil den er hat, der Richtige. Erst wenn der Körper Signale sendet, ist etwas zu tun, so Baumann.
Die Nacht zum Wettkampf schlecht zu schlafen ist kein Problem. Die Aufregung, das Adrenalin und die Zuschauer lassen keine Müdigkeit aufkommen. Nur die Tage vorher sollten gut gewesen sein. Qualität im Training ist wichtiger als Quantität.
Es heißt immer, man sollte vor dem Lauf viel trinken. Baumann würde dieses „viel Trinken“ eher als „ausreichend“ betiteln wollen. Denn es ist nicht zu vergessen, dass man nach dem Start nicht gleich wieder eine Toilette suchen möchte und das der überdimensionierte Wasserkonsum Tage vorher, durchaus auch wichtige Mineralien ausspülen kann. Wichtig! Alle 5km konsequent trinken.
Hinweis: Zum Marathon in Hannover ist es auch für Privatpersonen möglich, Eigenverpflegung an der Strecke zu positionieren.
Im Marathontraining sollte das Essen während des Laufens geübt werden. Es schafft Sicherheitwenn man merkt, dass man es verträgt und man erlebt, wie es sich insgesamt beim laufen verhält. TIPP: An den Trinkstationen bleibt man als Freizeitsportler einfach stehen, trinkt ordentlich und läuft weiter. Die Sekunden die gewonnen werden, würde man weiterlaufen, gleichen den Verlust des Wassers welches man unabsichtlich verschüttet, nicht aus.
Vorsicht bei Gels usw. die man noch nie während einer solchen Belastung getestet hat. Da kann der Marathon ganz schnell vorbei sein… Am Tag vorher und am Tag des Wettkamps keine Experimente (andere Getränke oder neue Nahrungsmittel etc.), alles wie im Training. Dieter Baumann hatte ein Ritual bei Olympia: 1 Tasse Kaffee, 1 Stück Kuchen und 4Std. später am Abend der Wettkampf.
Denn: Alle Läufer essen Kuchen. 🙂
Rituale am Abend vor dem Lauf helfen die Motivation und das Besondere daran zu wahren und schaffen zudem Sicherheit. Mit Freunden essen, einen Film schauen usw.
Die Kleidung rauslegen, alles Zubehör raussuchen. Den Ablauf des Tages planen. Am nächsten Morgen ist Hektik definitiv unerwünscht. Dann heißt es genießen. Auch nach dem Lauf kann man sich ein Ritual erschaffen. Ist man mit mehreren Läufern/Freunden unterwegs, trifft man sich zum kochen oder isst die Pizza, auf die sonst verzichtet werden würde. Danach dann natürlich noch Eis 😉 oder Kuchen… Stetige Disziplin und Verzicht fördert nicht die Freude am Laufen.
Anmerkung von Laufliebhaber: Gerade diese Disziplin und das konsequente Trainingsverhalten haben gerade dazu geführt, dass ein Marathon oder Halbmarathon beendet wurde. Und nun verbietest du dir Kuchen…!?
die besten Sprüche des Abends
Baumann: „Wenn alles gut gelaufen ist, war das Wetter immer perfekt.“
Ulrike: „Ich entscheide nach Siegchancen, ob ich teilnehme.“
Baumann: „Marathon ist eine brutale Belastung. Für Körper, Muskeln, Sehen und Psyche. Damit muss man vorsichtig sein. Was ist euer Ziel: Ausgleich und Spaß oder Kenia besiegen?“
Baumann: „Am Anfang ist alles klasse beim Marathon. Ab 35KM aber nicht mehr. Zuschauer rufen dann, du siehst toll aus. Du weiß aber genau, du Arschloch, das stimmt doch gar nicht… Aber alle jubeln trotzdem. Das ist super.“
Schenk: „Siggi Wentz (Olympischer 10- Kämpfer) hat vor seinem Wettkampf immer geraucht. Im 10-Kampf verschwinden viele zwischendurch zur Kompensation. Alle sind nervös. Jeder hat seine Mittel dafür.“
Schenk: „Im Stadion glaubst du, alle schauen dich an. Du darfst also keine Schwäche zeigen und das hilft. Es sind aber nur 10% die tatsächlich zuschauen und nicht irgendeinen parallelen Wettkampf beobachten. Bei Wettkämpfen wie dem Tuifly Marathon freuen sich alle an der Strecke, dass Du läufst und feuern dich an. Beifall für das, was man tut, ist ein wesentlicher Faktor für den Kopf und das gute Gefühl.“
Schenk: „Als Leistungssportler damals in der DDR, hatten wir einige, durchaus angenehme Extraleistungen die wir in Anspruch nehmen konnten. Oder es einfach taten und keiner etwas sagte. Deswegen gingen wir gerne oft in den Zoo. Denn hier war das Angebot an Bananen groß und die Affen konnten sich ja nicht direkt beschweren wenn Bananen fehlten.“
Fazit
Eine gelungene Veranstaltung die Lust auf mehr macht. Auf das Laufen und den 27. April 2014, dem Tag desTUI Marathon. Erstmals ausgezeichnet mit dem „Silber Label“ des Internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF.
Wir sehen uns laufend!
Alexander
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