
Es beginnt in Hemavan
Hemavan also. Und damit Kungsleden. Anfang eines Weges, der keiner werden wollte. Noch nicht.
Ich erinnere mich kaum. Nicht an die Geräusche, nicht an die Gerüche. Nur an das Zögern. An die schweren Gedanken, die in mir saßen wie Steine. Ein Rucksack, zu voll gepackt mit dem, was war, und all dem, was vielleicht werden könnte.
Ich war angekommen, ja – und doch war ich nirgends. Die Vorfreude, die ich mir versprochen hatte, war nicht mitgekommen. Stattdessen war alles eng. Alles laut in mir, obwohl es draußen so still schien.
Kein Platz für Leichtigkeit. Kein Platz für Vertrauen. Nur Sorgen, die sich in allen Farben vor mir ausbreiteten.
Ich stand dort, am Beginn des Kungsleden. Mit Fragen, die mir keiner beantworten konnte. Nicht einmal ich selbst. Und dann war da dieser Moment, als ich am Startpunkt stand und Jubel hörte.
Von anderen.
Die ankamen. Oder aufbrachen.
Ich weiß es nicht mehr.

Ich habe noch nie am Ende eines Weges gejubelt. Vielleicht bin ich nicht so einer. Vielleicht sehe ich in diesen Wegen etwas anderes.
Weniger Ziel und keine Leistung. Laufen, nicht um zu siegen. Und längst nicht mehr um zu beweisen. Es ist mehr ein Zuhause auf Zeit. Ein Dazwischen das sich nicht rechtfertigen muss.
Damals, als ich den Kungsleden Süd in Laufschuhen gerannt bin, war da am Ende nur Leere. Kein Hochgefühl und kein Stolz. Nur müde Knochen und ein leerer Blick.
Ich verstand die Wunderbarkeit dessen was dieses „Projekt“ mir bedeutet erst später.
Jetzt wanderte ich. Nicht weil es der „echte“ Kungsleden war. Der Königsweg unter den skandinavischen Fernwanderwegen.
Sondern weil er Teil eines größeren Weges war. Einer Linie, die sich bis Narvik ziehen würde. Doch weil es eben dieser Weg war, begegnete ich mir anders.
Und ich hatte nicht viel Platz mitgebracht. Nicht für Überraschung. Nicht für Begegnung. Nicht für mich selbst.
Schon nach wenigen Minuten traf ich auf andere Wanderer.
Auf dem Weg.
Neben dem Weg.
Vor mir und hinter mir.
Wenn ich abends mein Zelt aufbaute, saß ich nie wirklich allein. Noch Menschen, noch Stimmen. Noch jemand, der ging. Ich wusste es ist gut so. Ich wusste auch, ich war noch nicht weich geworden. Noch nicht durchlässig. Noch nicht angekommen.
Ich hatte nichts in mir, das sich öffnen wollte. Keine Fenster und keine Tür. Ich war ein Haus mit versiegelten Wänden. Noch keine Wärme. Noch kein Licht.
Aber dem Weg war das egal. Dem Wetter auch.



Fühlen dauert
Dann nach Tagen, irgendwann ein Moment am Fluss. Ich saß auf einem Stein, die Füße im Wasser.
Alles rauschte.
Das Sonnenlicht streifte das Moos.
Die Zeit wurde langsamer.
Das ich ein Teil da draußen bin. Das ich dort sein darf so wie ich bin und es gleichermaßen völlig egal ist ob ich überhaupt bin, ist wunderbar.
Dieses stumme Einverständnis einer Welt, die sich nicht für mich dreht – und mich doch nicht ausschließt.
Die Natur fragt nicht. Die Natur bleibt.
Der Fluss fließt.
Die Steine liegen.
Der Wind streicht, egal wen er berührt.
Und plötzlich war da nicht mehr nur das Gewicht auf meinen Schultern. Da war auch ein Hauch von Verbundenheit.
Manchmal braucht es Tage, bis ein inneres Türchen aufschwingt. Bis es wieder erlaubt ist, zu staunen.
Der Weg wurde weiter. Offener. Die Zelte seltener.
Ich spürte, wie das, was fest war, langsam aufweichte. Ich merkte es an den Momenten, die länger wurden. An den Pausen, die nicht mehr Ausruhen bedeuteten, sondern Bleiben. Ich konnte wieder sehen, ohne zu suchen.
Nur beobachten. Ohne zu denken, ob es etwas bedeutet.
Fjällmoos, das unter der Sonne schlief. Wasser, das im Schatten still blieb. Ein Nebel, der sich wie eine Decke über das Tal legte. Er kam nicht bedrohlich.
Er war nur da. Ohne Urteil. Ohne Richtung.
So, wie ich es auch gern wäre.
Einmal saß ich im Wind. Lange. Er kam in Böen, ließ kleine Birken wackeln, rüttelte an ihren Zweigen, zog Staub über den ausgetretenen Pfad. Kein Auftritt und bei weitem kein Spektakel. Nur Bewegung wie sie immer ist.
Nicht für mich. Nicht gegen mich.
Nur da.
Und ich dachte: Wenn es so einfach ist, da zu sein – warum ist es in mir dann so schwer?



Das Hüttendilemma
Auch wenn mir die Menschen immer freundlich begegneten. Ich war noch nicht bereit für Hütten, für Gespräche oder für Nähe. Noch nicht. Ich wollte nicht fragen, nicht antworten, nicht reden über Etappen, Kilometer, Gewicht. Ich wollte nur Stille.
Und vielleicht eine Tür, die ich hinter mir schließen kann.
Zudem „macht man das doch nicht“, nach wenigen Tagen schon ein Bett buchen wenn man ein Zelt hat.
ICH mache sowas doch nicht…
Und doch, ich machte genau das.
Das Wetter sollte umschlagen. Ich brauchte Pause.
Und ich bekam sie. Ein Zimmer nur für mich. Acht Betten, sieben leer in der STF Aigert Berghütte.
Ich kaufte Kekse. Schon in der ersten Woche. Ich – der sonst so viel und am besten alles kontrollieren wollte.
Auch in Ammarnäs hatte ich ein Zimmer reserviert.
Ein Bett. Ein Tisch. Ein Stuhl.
Nicht viel. Und doch alles, was nötig war.
Mein aus Deutschland hierher geschicktes Verpflegungspaket lag bereit.
Ich atmete auf.
Ich hatte nicht viel erwartet, aber alles das gebraucht.

Gedanken über das Gehen
Manchmal frage ich mich, was es über mich sagt, dass ich nicht jubel.
Dass ich nicht auf Gipfeln stehe und schreie: Ich hab’s geschafft!
Dass ich nicht für Gipfelfotos posiere.
Dass ich lieber an Flüssen sitze und warte, bis der Wind mir zeigt, woher er kommt.
Vielleicht ist mein Weg einer, der leise spricht. Der nicht auffällt. Der keine Spuren im Matsch hinterlässt, sondern nur ein leichtes Knacken im Gras.
Ich gehe, um zu spüren, wie sich die Welt bewegt, wenn ich in ihr bin.
Ich gehe, um zu erinnern, dass ich sein darf – auch ohne Ziel.
Ich gehe, weil mich das Gehen an mich selbst erinnert.
Weil die Geräusche der Welt leiser werden, wenn nur noch der Boden unter den Schuhen knirscht und das Wasser der Flüsse seine eigene Sprache spricht.
Ich gehe nicht, um anzukommen. Ich gehe, um den Raum zu spüren, in dem ich nicht mehr fliehen muss. Nicht vor mir, nicht vor den Fragen, die ich vielleicht niemals werde beantworten können.
Ich gehe, um zu vergessen, wie viel ich in mir festgehalten habe. Und um zu erinnern, dass ich loslassen darf. Nicht alles.
Aber genug, um weiterzugehen.
Bilder der Anreise







Ich wollte nicht mehr werden.
Ich wollte nicht mehr leisten.
Ich wollte nur noch spüren, wie ich gehe – und dass der Weg weitergeht.
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