Endlich bin ich in meinem geliebten Schweden angekommen – für ein paar Stunden zumindest.
Ich habe mich entschieden das Teilstück des Nordkalottleden, welches über den Kungsleden führt, zu meiden. Zu viele Menschen, zu viel Zivilisation und so…
Also steige ich über Riksgränsen direkt wieder in das norwegische Fjäll ein.
Auf die wilde unberechenbare Route wie man sich erzählt. In die raue Bergwelt. Wie das Wetter dort sein wird, wer weiß das schon.
Es sind die Berge von Narvik.
Der Weg dort, oft schwer und nur manchmal leicht. Kaum markiert und viel öfter komplett ohne Hinweise.
Mit Gletschern, Flüßen, Bergpässen aus ewigem Eis und einer Seepassage die es gilt mit einem Ruderbott zu queren. Wenn es denn an der richtigen Seite des Ufers liegt.
Garniert mit wunderschön gelegenen DNT Hütten. Die mir wieder Sicherheit geben, das egal was der Tag auch bringt, ich eine Tür zu und einen Ofen anheizen kann.
Ziel & Anliegen
Viel habe ich die letzten zwei Wochen über den Unterschied von Ziel und Anliegen nachgedacht.
Gerald Hüther hatte da mal etwas sehr schlaues zu gesagt. Was genau, da konnte ich mich natürlich nicht mehr dran erinnern. Doch ungefähr war die Idee dazu so…
Ziele bedeuten immer, das sie irgendwann höchstwahrscheinlich erreicht werden. Dann muß das nächste Ziel hier.
Dann das nächste.
Und wieder ein neues danach.
Jedes Mal mehr, größer, beeindruckender.
Einfach immer mehr.
Ein aussichtsloser Weg für Zufriedenheit oder Geschweige denn Glück wie ich finde.
(per se ist ein Ziel nicht schlecht. Es braucht manchmal eines um einen Fortschritt zu messen oder den Fokus für ein Vorhaben zu halten)
Genau diese Ziel-Erreichen-Ausrichtung scheint mir immer weniger stimmig für mich. Sie fühlt sich schlicht falsch an.
In der Vergangenheit war das in allen Lebensbereichen oft genau meine Vorgehensweise.
Für meine Wanderungen bedeutete das: Start- Ziel – zu Ende bringen.
Sicher, mit Genuss!
Aber gerne, nein immer, den ganzen Weg. Niemals ein Teilstück davon.
Ganz oder gar nicht.
Bin ich extra schnell, mit 40 Kilometern und mehr Tagesetappen, gibts ein Sternchen ins Tagebuch.
Am nächsten Tag war es nur leider bereits ein erloschenes Sternchen.
Besonders hart hat mich diese Vorgehensweise 2019 getroffen. Als ich den 360 Kilometer langen Kungsleden Süd gelaufen bin und am Ende nur Leere auf mich gewartet hat.
Keine Anerkennung durch mich für mich. Keine Emotionen, keine Zufriedenheit. Glück? Ach hör auf…
Das Interview in dem Gerald Hüther Ziel & Anliegen etwas genauer unter die Lupe nimmt, findest du beim Zukunftsinstitut.de.
die Veränderung
Den Nordkalottleden bin ich nun anders angegangen. Überhaupt hat sich meine Einstellung zu Natur, Bewegung und all dem was damit einhergeht sehr gewandelt. Mit jedem Schritt seit Kautokeino, dem Sumpf und den Mücken.
Ich habe den Nordkalottleden für mich als Anliegen definiert. Oder anders, nicht speziell diesen Weg sondern die Natur als solche. Die Stille, die Kälte, der Regen, die Sonne, der Hunger, die Anstrengung und all die Freude. Das ist etwas das keine Ende braucht.
Ja überhaupt kein Ziel hat.
Weil es das ist was meine Werte verkörpert und ich sie als ein für mich bedeutsames Anliegen leben kann.
Weil die Frage was bringt mir das, nicht mehr zählt.
Nicht mehr wichtig ist.
Gehe ich nur den halben Weg, dann ist das doch schön.
Muß ich abbrechen, klar das ist schade, aber macht doch auch irgendwie nichts. Komme ich halt bald wieder.
Diese Gedanken haben so viel für mein Gleichgewicht getan. Letztes Jahr hätte ich einen nicht zu Ende gegangenen Weg als scheitern betrachtet.
Als schwach.
Jetzt gehört das alles zusammen. Zu meinem Anliegen.
Es ist alles gut. War es doch schon immer.
Bist du noch da?
Bist du noch dabei und liest mit? Würde mich nicht wundern, wenn es dir für einen Reisebericht über den Nordkalottleden etwas zu verquer geworden ist 🙂
Jetzt geht es auf jeden Fall weiter mit dem Weg und was auf den letzten Kilometern so los war…
Die Welt ist wirklich rau hier oben. Ich werde nicht müde das zu betonen, denn es ist trotzdem so wunderbar hier. So viel Fels. So viel Schnee und Eis und immer wieder die Grün und vom Wasser Blau gemalten Täler dazwischen.
Naja, oft habe ich sie mir in Gedanken nur so farbig gefärbt. War es doch an vieleln Tagen einfach nur grau und dunkel.
Hinter der Caihnavaggehytta führt der Weg über einen Pass und in so manchem Eintrag der Hüttenbücher war von Quälerei, Kälte und vielen vielen Stunden in Steinfeldern, Sturm und Eis zu lesen. Vor dieser Passage hatte ich großen Respekt, da sie zeitlich und von der Anforderung her nur schwer zu kalkulieren war.
Am Himmel zogen bereits dunkle Wolken auf als ich mir meinen Weg am nächsten Morgen um 05.30 Uhr Schritt für Schritt durch und auf den Felsen bahnte.
Immer nach oben.
Schneefelder zwangen mich zu Umwegen. Das Risiko darüber zu gehen war mir zu groß. Würde ein Abrutschen doch zu einem schweren Unfall oder sogar Absturz führen.
Auch wenn in der Ferne keine Feuer brannten, es erinnerte mich alles hier an Frodos Weg nach Mordor.
Ich habe keine Ahnung mehr wie viele Stunden, aber irgendwann habe ich den Gletscher erreicht. Es war eisekalt da oben und natürlich, wunderschön. Der Weg vom Gletscher hinab war ähnlich anspruchsvoll wie der Weg hinauf. Bergauf hinfallen war seit jeher schon immer besser als bergrunter…
Mit Blick zurück Richtung Gletscher sah ich die dunklen Wolken die sich nun im Pass festfraßen. Was für eine gute Entscheidung so früh losgegangen zu sein.
Sitashytta
Die letzten 13 Kilometer der heutigen Etappe (ich hatte mir 42 Kilometer auferlegt) führten auf einem Wirtschaftsweg entlang. Hier hörte ich seit drei Wochen mal wieder Musik. Das war so krass.
So muss das sein wenn man Drogen nimmt… Mit Leichtigkeit konnte ich diese letzten Stunden von diesem ohnehin schon langen Tag bewältigen. Mein Kopf feierte dieses so lange entbehrte musikalische Dopamin-Feuerwerk.
An der Sitashytta angekommen war der Tag dann aber auch gelaufen. Nachdem mein Kreislauf nach einer Stunde runtergefahren war ging absolut nichts mehr. Auch einschlafen war schwierig…
Ein Geschenk für den Nordkalottleden
Auf der Paurohytta haben die DNT Jungs, welche regelmäßig alles überprüfen, eine Dose Birnen als Geschenk zurückgelassen. Ein wahres Fest stand für mich an. Bereits nach 12 Tagen waberte latent steter Hunger durch meinen Körper. Selten waren Dosenbirnen in Kombination mit Trockenfleisch ein solcher Hochgenuss.
Zudem mir eine große Sorge genommen wurde. Ich war nicht sicher, ob es diese Brücke schon gab von der ich kurz vor meiner Abreise las.
Die eine Seeenge hinter der Paurohytta überbrückt. Denn sonst wäre sie mit einem Ruderboot zu überqueren. Und hat der Wanderer davor das eine Boot (es gibt immer zwei um hin und her rundern zu können) nicht wieder zurückgebracht, dann steht man dumm da. Das Hüttenbuch zeugt von etlichen Situationen dieser Art.
Auf jeden Fall gab es diese Brücke. Das war dann sicher. Seit Sommer 2019.
Großartig und sie wird vielen die mir auf dem Nordkalottleden nachkommen so vieles einfacher machen.
Erneut durch Regenwolken bahne ich mir meinen Weg Richtung Roysvattnhytta. Kaum bis nicht markiert werden aus ausgewiesenen 27 Kilometern am Ende 30. Doch die Wolken lichten sich und so kann ich noch etwas von dieser großartigen Aussicht genießen.
Der nächste Tag ist vom Wettergott geküsst. Kühl, blauer Himmel und Schneefelder. Das alles für meinen letzten Tag in Norwegen. Ich bin auf dem Weg gen Ritsem von wo aus meine letzte Woche und die letzten 160 Kilometer anbrechen.
Padjelanta / Nordkalottleden
Von Ritsem aus führt mich der Nordkalottleden die erste Zeit auf dem Padjelantaleden entlang. Sie teilen sich hier sozusagen den Weg. Man sieht das er viel begangen wird und in einem Nationalpark liegt. Gut ausgetreten und mit vielen Bohlen komme ich sehr schnell voran. Nass, sumpfig, matschig – klar – wie immer. Doch nasse Bohlen darf ich nicht unterschätzen. Mehrfach reißt es mich fast um, wenn ich von normalen Untergrund in flottem Schritt wieder auf die Bohlen wechsel.
So schön die auch sind. Bei Nässe und Regen sind sie mega fies und hinterhältig.
Obwohl es meine letzten Wandertage sind, die Natur neue und so wunderbare Aussichten und Geschenke bereithält, habe ich mein Momentum verloren. Irgendwo auf dem Nordkalottleden. Ich glaube in Ritsem.
Ich möchte nicht mehr laufen.
Punkt.
Hier sein. Hier bleiben.
Unbedingt.
Laufen?
Nein.
Das macht es mir etwas schwer. Besonders ab Nachmittags, wenn die Energie schwindet. Ich habe nun durchgehend immer Hunger. Wache manchmal Nachts davon auf. Ab Kilometer 25 und bergauf ist die Leere meiner Beine schreiend.
In einem Winterraum der Padjelante Laponia Hütten (die Saison ist bereits vorbei und die Hütten geschlossen), finde ich eine zurückgelassene Nudelpackung. Vielleicht noch 200g.
Salz? Hab ich nicht. Mische alles mit meinem Abendessen.
Zufälligerweise hatte ich heute eh Trockenfood-Bolognese auf dem Zettel.
War fast wie Weihnachten mit Raclette, Gans, Tiramisu und Champagner und Schokotorte.
Bootorder
Um nach Kvikkjokk zu gelangen muß man sich ein Boot bestellen. Der Nordkalottleden verläuft auf den letzten Kilometern wieder zusammen mit dem Padjelantaladen und da die regelmäßigen Abfahrzeiten wegen Saisonende nicht mehr durchgeführt werden, rufe ich Helena an und melde wann ich am Bootsanleger ankomme. Alles kein Problem. Das Boot wird da sein.
Finde ich total abgefahren, sich ein Boot zu ordern. Von irgendwo im Wald jemanden anrufen, der dann am nächsten Tag mit einem Boot vorgefahren kommt.
Knaller.
Der letzte Tag.
Schweden macht es mir nochmal schwer. Herbstsonne auf der in allen Farben verfärbten Natur.
Blau der Himmel. Die Aussicht weit.
Mein Herz voll Freude.
Oder macht es mir das Land einfach nur so schön, weil es erstmal der letzte Tag für mich ist?
Outro Nordkalottleden
Am Bootsanleger treffe ich Theresa und Jonas. Sie waren auf dem Padjelantaleden unterwegs und nehmen ebenfalls das Boot um nach Kvikkjokk zu kommen. Am nächsten Tag haben wir über viele Stunden denselben Heimweg. Tauschen uns aus, erzählen von unseren Erlebnissen.
In Jokkmokk finden wir zusammen den einzigen Bäcker und freuen uns über Zimtschnecken. Auch der Besuch zusammen im Sami-Museum bis es mit dem Bus weiter geht, war ein tolles Abschlußhighlight.
Ich habe gemerkt, das ich wochenlang nicht geredet habe. Meine Freunde hätten mich gefragt, was mit mir denn nicht stimmt. So viel wie ich aus dem Stand und ungefragt erzählen konnte…
Mein geliebter Norden. Ich vermisse dich schon jetzt so sehr.
Es tut weh hier in der Stadt…
Angela Kiewitt says
Lieber Herr Forchert (lieber Alexander?),
seit Wochen verfolge ich Ihre(n) Reisebericht(e) insbesondere über den Nordkalottleden. Meine Tochter Theresa hatte von Ihnen berichtet und heute nun endlich der dritte Teil. Dass darin meine Tochter und ihr Mann nun auch „verewigt“ wurden-herrlich! Die Bilder, aber insbesondere Ihre Extrakt-Gedanken finde ich klasse. Ich habe auch schon mehrmals den Södra Kungsleden-Film abgespielt und genossen. Das Annehmen der Natur, des Wetters, des eigenen Körpers-bewahren Sie sich das. Schöpfung und Geschaffene- ein Geschenk!
Unbekanntermaßen viele Grüße!
Angela Kiewitt
Laufliebhaber says
Liebe Angela,
wie im Norden üblich, gerne das „Du“.
Vielen Dank für diese tolle Nachricht. Ich freue mich sehr darüber, das meine Berichte bereits erwartet wurden 🙂 und das die Gedanken dazwischen nicht allzu fremd in einem Reisebericht daherkamen.
Da Theresa und Jonas ein großen Anteil an dem gelungenen Ende meiner langen Wanderung hatten, stand es ausser Frage sie nicht zu erwähnen.
Wenn es nach Plan läuft, wird es im nächsten Jahr auch einen Nordkalottleden-Film geben. Quasi aufbauend auf dem Kungsleden Södra Film 😉
Alles Gute und eine gute Zeit!
Alex