Langsam Reisen und dabei entspannt schweigen.
Ich stieg in die Eisenbahn Richtung Kiel, schiffte langsam ein um über Wellen und im Meer versinkender Sonne bei blauem Himmel am morgen unter Göteborgs Hafenbrücke hindurchzugleiten.
Mit so viel Zeit in den Taschen verliert sich jede Eile in ihrer Einsamkeit. Diese eine Bahn welche mich weiterbringt oder die nächste. Es fühlt sich an als dürfte ich auch einfach nur stehenbleiben und auf´s Meer schauen. Die Zeit würde immer ausreichen für mich.
Die Bäume fliegen am Fenster vorbei. Blaue Seen spiegeln die Wolken im Himmel und der Sitzkomfort in der schwedischen Eisenbahn ist so ungewohnt wunderbar, das mich der deutsche Gegenpart wie eine absurde Unmöglichkeit erscheint.
Doch langsam fällt mir etwas auf.
Es hat sich angeschlichen. Unauffällig, leise und unerwartet.
Die Stunden vor der Abreise noch voller Abenteuer im Blut und kribbeln in den Beinen wie es denn sein wird, wenn nach Jahren der Gedanken daran nun ein Traum in Erfüllung geht. Geboren und erste Schritte machen wird. Dort wo der Junge vor Freude springen sollte, ist nun Leere.
Keine Vorfreude und keine Anspannung.
Keine Aufregung und keine Sorge.
Nichts ist nur da und das fühlt sich traurig an. Denn jedes Gefühl erzählt mir mehr als dieses Nichts,.
Es war einfach und war nichts im Herzen.
Erst am nächsten, dem dritten Anreisetag nach neuen Stunden in der schwedischen Eisenbahn und im Bus, da wagt sich ein Gefühl hervor. In den letzten 10 Minuten vor meiner Haltestelle.
Der Zweifel hob die Hand zum Gruß.
Hinterfragte alles.
Brachte die Sorge mit und hielt an der anderen Hand das Unbehagen.
Ist es das was ich wirklich wirklich will?
Ist doch nicht jeder Traum auch dazu da erfüllt zu werden.
Traumfakten
Dort zu laufen, im Sinne von laufen – nicht wandern, wo es niemand macht. Ja kaum einer überhaupt auf die Idee kommen würde.
Tagelang und ohne Unterstützung. Mit Rucksack, Zelt, Minimalverfplegung und voller Abenteuerlust.
Fast 400 Kilometer von Sälen nach Storlien in 9 + 1 Tagen.
(+1 Tag, um den Helgas ein zweites Mal zu besteigen).
Fakten und emotionslose Details zum Weg findest du in einem separaten Artikel HIER.
2017 stand ich schon einmal hier. Durchschritt das Tor des südlichen Kungsleden in Sälen.
Erfüllt, stolz, verliebt in die raue Welt da oben. In die Sümpfe und die Weite.
Verliebt in die Stille, die manchmal so laut ist, das ich meinen Schritten zuhörte und aus dem Schrei der Fjällmöwe nur für mich ein Lied wurde.
Das Tor macht es nicht leichter zu beginnen. Liegen dahinter doch so viel Erlebnisse, die Guten und die Guten welche so anstrengend waren.
Die nur für mich für immer da sein werden.
Ich sehe die Natur zum ersten Mal bei Sonnenschein. Kein Sturmregen verstellt den Blick wie vor zwei Jahren.
Die Kilometer fangen an zu fliegen und ich wage erste Laufschritte.
Die Weichen sind gestellt. Es geht nur noch voran.
Alles ist richtig. Der Zweifel hat sich wieder versteckt.
Nur noch Abenteuer und meinen Traum halte ich an den Händen.
Blutroter Himmel über schwarzen Baumkronen ist meine Begleitung am nächsten Morgen.
Kann meine Kraft nicht finden. Wandern bringt mich vorwärts.
So war das aber nicht geplant.
In meinem Traum flog ich über das Fjäll und zwischen den Bäumen im Tal hindurch.
Das Anlaufen ist mein steter Krafträuber.
Brauche ich doch jedes Mal allen mentalen Fokus um vom Wanderschritt wieder ins Laufen zu kommen und umgekehrt.
Sumpf bremst mich aus, zerrt und zehrt.
Steine über Steine lassen meine Füße keinen Halt finden.
Spärlich gelegte Bohlen und Waldwege sind hingegen mein Laufparadies.
500m Laufen, 2 Kilometer Wandern, 250m Laufen, 5 Kilometer Wandern, 6 Kilometer Laufen.
Ein sammelsurium aus Hin und Her.
Physisch funktioniert alles. Die Maschine läuft.
Hält aus.
Hält mit.
Kann mehr.
Mein Kopf und meine Gedanken verlieren sich.
Sind schwach in einem, wollen alles im anderen Moment.
Das Drevsfjället ist Urwald.
Rauh und in Ruhe gelassen.
Ich bin zu Besuch, ein Gast und doch ist nichts für mich vorbereitet. Man hat mich nicht erwartet und hat keinen Kuchen da…
Dunkle Wolken, Nässe von allen Seiten, ein Pfad der nicht gelaufen werden möchte.
Nicht von mir.
Nicht mit Rucksack und nicht über Stunden.
Ich wehre mich nicht.
Er dankt es mir und entlässt mich über Waldwege wieder ins Fjäll.
Endlich darf ich laufen.
Lange, langsam zwar, doch stetig. Dafür bin ich losgezogen. Das war das Fundament meines Traums. Es wurde Zeit für dieses Gefühl. Denn dann kam das Naturschutzgebiet Rogen. Ein atemberaubendes Ungetüm aus der Urzeit. Zurückgelassen und erschaffen von eiszeitlichen Göttern liegt es förmlich wie ein schlafender riesiger aus Steinen geschuppter und Steinstacheln gespickter Drache im Gränslandet.
Mein Weg führt mich über diesen Drachen. Vorbei an 1000 Seen, Bächen die nicht zählbar sind und einem Ozean, welcher keiner ist.
Meine Füße werden in dieser Zeit kaum den Boden berühren.
Klettern sie doch nur über die Steinstacheln des Drachen.
Eine Belastung für alles – lässt man sich keine Zeit. Der Rogen vergibt den eiligen nicht.
Eilt man sich doch, ist ein Wegezoll zu entrichten. Was das ist, entscheidet der Drache nachdem er deinen Gedanken und Ängsten die ersten Stunden sehr aufmerksam zugehört hat.
Meine Gelenke und Sehnen, sie halten aus. Doch erholen sie sich nicht mehr bis zum Ende der Tour.
Der Drache entlässt mich.
Im Sonnenschein. Als möchte er sagen: die zwei Tage Dunkelheit und deine für mich geschundenen Füße waren nicht so gemeint. Komm gerne wieder wenn du Zeit mitbringst um dir meine Schönheit im Sonnenschein anzuschauen.
In meinem Rentierfjäll, meinem geliebten Ort wo bei Zeiten viele Tausend Rentiere Zuhause sind, kann ich nicht laufen.
Nur langsam gehen.
Meine Energie ist gut, der Weg würde es zulassen.
Der Rogen-Wegezoll, mein linkes Bein und Knie, zwingen mich zur Langsamkeit.
Sogar soweit, das ich fünf Kilometer vor dem geplanten Ende die Tagesetappe beschließe.
Es war ein Kampf im Kopf.
Unter Schmerzen laufen, weil es doch endlich mal über viele Kilometer möglich wäre und ich deswegen doch hier bin.
Und weil ich die fünf Kilometer am nächsten Tag zusätzlich auf dem Zettel hätte.
Das wären dann fast 60 Kilometer.
Ich spürte wie die Sorge wieder nach meiner Hand griff und sie festhielt. Sehr fest…
Ich baute mein geliebtes rotes Zuhause auf. Fünf Kilometer zur früh. Aß, dachte nichts mehr und schlief.
Nebel und Wind, Sprühregen und 2 Grad durften um 5 Uhr morgens durften kein Grund sein um nicht aufzubrechen.
Es gab nur vorwärts.
Der Gedanke an das Fjäll des Jämtlands ließ mich laufen.
Irgendwann muß die Sonne wieder scheinen. Das macht sie immer. Irgendwann.
Heute für mich nach 40 Kilometern. Noch 20 Kilometer hatte ich die strahlende Schönheit für mich.
Wenn sich die Grauheit des Himmels lichtet, Blau zum Vorschein kommt und die Sonne die Diamanten der eben noch stumpfen Seen zum glitzern bringt, was sind da nocht die vergangenen dunklen und verzweifelten Tage.
Sie schweigen.
Sind da, doch im verborgenen.
Wissen das ich sie nicht höre.
Nicht in so einem Moment.
Ich fliege endlich. Es kostet Kraft, tut weh, tut gut, ist wunderbar.
Vorbei an Seen, an Regenbögen und Bergen mit ihrem letzten Schnee.
Vielleicht auch dem ewigen Schnee, der niemals geht.
Es sind diese Stunden wofür sich eine lange Reise lohnt.
Meine Reise.
Zusammen mit den grauen Geschichten sind sie das Gold eines Abenteuers.
Meines Abenteuers, meines Traums den ich mir tatsächlich erfüllt habe. Zu laufen, alleine, lange und weit. Dort wo man es eigentlich nicht macht.
Nicht so.
Den Helags kann ich kein zweites Mal besteigen.
Es stürmt an diesem Tag, Regnet und alle Wolken haben sich um den Gipfel versammelt.
Ein Ruhetag also.
Meine Beine danken, mein Kopf sagt verdammt.
Du bist schwach. Wir hatten eine Vereinbarung.
Kein Ruhetag!
Immer weiter laufen.
Was sollen wir denn nachher der Welt erzählen.
Mit der Sonne, nein, vor der Sonne beginnt der nächste Tag.
Ich laufe neben ihr bis sie aufgeht.
Pfützen knacken bereits. Sie froren in der Kälte der Nacht. Das erste Eis für meinen Winter.
Fast 20 Kilometer lässt der Weg mich ohne Unterbrechung laufen. Ein neues Schwergewicht für meine Erinnerung.
Dazu Stille und Weite.
Ich war mir so sicher. So verdammt sicher, das es der richtige Abzweig auf dem Weg ist.
Er war es auch. Brachte er mich doch zum Etappenziel. Doch wollte ich einen anderen nehmen. Einen welcher mich abseits ins Ziel führte. Das Ende des letzten ganzen Tages sollte nur mir gehören.
So traf ich zu schnell zu viele Menschen auf diesem hart begangenen Verbindungsweg zwischen den Berghütten.
Das ging zu schnell. Das war zu viel. Ich wollte nur weg und mußte ihn doch zu Ende gehen.
Mal wieder Grau grüßte der nächste und letzte Morgen meines Abenteuers.
Storlien war lange nicht zu erkennen. Schritt für Schritt nahte das Ziel.
Und dann, dann war es plötzlich vorbei. Es regnete, die Wolken blieben dunkel und die LKW´s der Straße wichen keinen Zentimeter wenn sie an mir vorbeidampften.
Zu Ende, ich war in Storlien angekommen.
Am Ortsschild wartete es schon.
Das Nichts.
Wie zu Beginn, als ich antratt um meinen Traum zu erfüllen, stand es da.
Ich hatte die Hoffnung und wo ich so selten etwas erwarte, habe ich in diesem Fall fest damit gerechnet.
Das ich erfüllt bin nach dem Ende dieses Abenteuers.
Stolz auf mich. In jedem Fall froh darum das ich mich habe.
Die Leistung anerkennend und voller Freude über die neuen Erinnerungen.
Das ich so mutig war einen Traum nicht nur zu träumen, sondern zu erfüllen.
Es war einfach und war nichts im Herzen.
Michael Hoffmann says
Ein schnelle Geschichte – wunderbar erzählt. Vielen Dank.
Mut zu haben, einen Traum nicht nur zu träumen, sondern ihn zu erfüllen.
Da verbindet uns etwas, lieber Alexander.
Ich bin ihn auch gegangen, aber langsamer als Du. Und auch noch nicht angekommen.
Laufliebhaber says
Vielen Dank Michael.
Vielleicht sollte ich mir an dir ein Beispiel nehmen und es auch mal langsamer angehen.
Schnell, wie sich für mich herausgestellt hat, ist ja auch nicht unbedingt das was mir gut tut 🙂
Chris says
Bin schwer beeindruckt über deine Art zu laufen, zu reflektieren, zu schreiben und zu filmen….👍
Was hast du auf dem Kungsleden gegessen?
Laufliebhaber says
Hallo Chris,
vielen Dank für deine Nachricht und deine Worte!
Bei meinem Laufabenteuer habe ich mehr oder weniger jeden Tag dasselbe gegessen.
1x Hafervoll Riegel, 1x IronWill Fruchtkuchen (Rezept auf meiner Seite), 1x Cliffbar, mini Salamis/Trockenfleisch, 1x Trockengericht Nudel oder Kartoffelpüree.
Eine gute Zeit für dich da draußen,
Alex