Mija ednama (aus dem samischen)
Das Land gehört uns.
Wir gehören dem Land.
NORDKALOTTLEDEN TEIL I
Alta, Donnerstag, 13. September 2020.
Schlecht geschlafen habe ich diese Nacht.
Unruhig, aufgeregt, unter Spannung. Herz und Verstand ringen mal wieder miteinander. Der Verstand kann nicht verstehen, warum ich vertrautes, sicheres und gewohntes zurücklasse. Mich entscheide 800 Kilometer mit minimalem Wohlstandskomfort zu laufen. In Gesellschaft von täglicher Ungewissheit was der Tag denn so bringten wird.
Das Herz jubelt. Endlich Nordkalottleden.
Allerdings noch verhalten, denn es weiß wie oft ich dem Verstand nachgebe.
Erste Schritte Nordkalottleden
Es ist bereits 17:30 Uhr, als ich die ersten Schritte auf den Nordkalottleden setze und sogleich eine Blaubeerpflückerin treffe. Sie fragt mich, warum ich denn die alte Einstiegsroute für den Nordkalottleden nehme und nicht die Neue, welche den tiefen Sumpf umgeht.
Ich habe keine Antwort.
Wahrscheinlich weil es für mich auf der Karte einfach nur sinnvoll aussah, dachte ich mir im stillen…
Naja, meint sie noch. Ich solle nur darauf achten, nicht stumpf den alten Bohlen zu folgen die Morsch im Wasser liegen. Am besten ich suche mir meinen eigenen Pfad durch das alles.
Ich danke und gehe.
Nicht mehr weit, vielleicht 2 Kilometer. Baue am Ufer eines Sees in Rekordzeit mein Zelt auf und werfe mich hinein. Bis Sonnenaufgang werde ich es nicht mehr verlassen. Unfassbar wie dicht Mücken und Gnitzen umherfliegen. Nur vom Einstieg ins Zelt sind so viele mithineingekommen, das ich eine Stunde brauche um alle im Zelt zu beseitigen.
Aufbruch am nächsten Morgen um 05:45 Uhr. Gegen 06:00 Uhr passiert es dann. Ich unternehme den Schritt, welcher bereits nach 15 Minuten meine Wanderung hätte beschließen können.
Zwischenspiel I
Wie du bereits ahnnen kannst, dieser Bericht handelt nicht von Weggabelungen, Ausrüstung, Hütten, Anreise und Abreise. Ich schreibe über meine Gedanken und wie sie sich über die Zeit verändern. Festgefahrenes Denken und Gewohnheiten sich auflösen und Annehmen von dem was ist die schwierigste und wunderbarste Aufgabe eines jeden Tages ist.
Die Natur, all ihre Facetten und Nuancen in wilder Schönheit – sie hat natürlich die Hauptrolle inne.
Ein tägliches Tagebuch über jede einzelne Etappe mit ihren Herausforderungen und Erlebnissen, eine Detailübersicht zu Weg, Anreise, Verpflegung, Ausrüstung und Unterkunft findest du in separaten Artikeln in den nächsten Wochen auf Laufliebhaber.
Folge mir gerne, dann verpasst du nicht das Erscheinungsdatum.
Artikel: Verpflegung Nordkalottleden | Tipps, Infos und Adressen
Sumpf…
Nein, nicht weitergehen – Stop! Sagte irgendwas, ich habe keine Ahnung wer.
Jawohl, genau hier weitergehen – nicht das wir uns verlaufen, sagt hingegen der Verstand.
Hier sind die Bohlen, hier ist der Weg.
Das Herz reagiert mit Klopfen. Da war doch was…
Es ging schnell und doch so langsam, das es sich noch heute in Zeitlupe meiner Erinnerung wie gemalt abbildet. Unter dem Gewicht meines rechten Beines zerfällt die Bohle wie Pergament und ich versinke bis zur Hüfte im Sumpf.
Das linke Bein bleibt auf fester Erde stehen.
Ich falle nach vorne und da liege ich. Völlig überrumpelt, erschrocken.
Adrenalin.
Bitte, kein Schmerz. Was fühle ich…?
Oh wie gut, nur Schreck. Kein Schmerz.
Rucksack?
Nicht versunken.
Wo ist die Gopro?
Unfassbarerweise hat sie diesen Moment aufgezeichnet.
Ich arbeite mich aus dem Matsch. Richte meine sieben Sachen und folge dem Nordkalottleden ohne ein böses Wort.
Notiz an mich. Ich neige wirklich nicht zum fluchen.
Jetzt, viele Wochen danach, wird mir noch immer anders wenn ich daran denke. Oder besser, ich bin jetzt erst richtig erschrocken darüber was passiert ist. Und erleichtert, wie viel Glück ich doch hatte. Meinen Oberschenkel zierte noch lange ein großer blauer Fleck. Ich bin beim nach vorne fallen an das Ende der gebrochenen Bohle angeschlagen. Wäre sie spitz gewesen, ich anders gefallen, das hätte schlimm für mich ausgehen können.
Ein wirklich kurios-glücklicher-Moment das Ganze.
Zwischenspiel II
So viele Worte nur für die ersten Schritte. Für die ersten 4 von fast 800 Kilometern. Doch sind diese ersten Momente von Bedeutung für mich. Die Mücken und der Sumpf. Sie führen meine Gedanken, Einstelllungen und Sichtweisen der nächsten Wochen erheblich und maßgeblich in eine andere Richtung. Völlig anders als ich sie sonst bisher von mir kannte.
Herausgewandert aus Sumpf und Urwald schafft der Wind im Fjäll Erlösung von Mücken und entspannt Auge und Kopf mit Fernsicht.
Nach drei Tagen erreiche ich einen See. Die Sonne scheint, viel Wind. Nordische Karibik halt…
Der Plan besagt, heute wäre weitergehen und mehr Kilometer machen dran.
Das Herz sagt: Niemals!
Dieser Ort verlangt Beachtung.
Und wie das gestimmt hat. Ich bade, wasche, genieße. Fühle mich als Glückskind auf einem großen Spielplatz.
Das Reisatal
Das Reisadalen verlangt mir sehr viel ab. Ist es doch nass von oben und von unten. Von allen Seiten.
Feucht, leicht warm, schwieriger Weg und Mücken.
Bei unbeschreiblich wilder Schönheit. Farn so hoch das es mein Gesicht streift. Sonnenstrahlen die kleine Regenbogen zwischen die Blätter der Äste malen. Wasserfälle die tosend fallen und an den Felswänden schäumend brechen.
Der wilde Fluß, der Reisaelva, stets begleitend an meiner Seite.
Die Genussfrage
Darf Genuss anstrengend sein?
Ich glaube ja.
Ich bin der Meinung, das die Genuss-Intensität um einiges höher ist, als bei einfach hergeschenkten Genussmomenten. Sogar nachhaltiger für die Erinnerung.
Mit den Mücken und der Nässe habe ich meinen Frieden gemacht. Es gab ja auch nicht so viele Möglichkeiten. Ich habe für mich abgewogen. Wie wichtig ist mir das was ich gerade unternehme und was bin ich bereit dafür zu tun.
So sehr wichtig.
Und so viel bin ich bereit.
Sich jeden Tag also über nicht zu änderndes aufzuregen würde nur Kraft kosten. Das ganze wunderbare um mich herum zu einem harten Kampf erstarren lassen. Dann wäre der Weg ein Drache den ich platt machen muss. Eine mir auferlegte Qual um etwas zu erreichen. Das Ende des Weges.
Wie dumm.
Würde ich mir damit doch eine gute Zeit verwehren. Und doch, wie oft habe ich es in den letzten Jahre genauso gehandhabt.
Natürlich habe ich immer wieder über die Mücken geflucht. Mir gewünscht, endlich mal einen Tag trocken über den Weg zu kommen. Abends vor dem Zelt vielleicht mal der Sonne beim zu Bett gehen zuschauen zu können.
Ärgern darf doch sein. Erst wenn er bleibt und sich festsetzt, dann schmerzt es auf Dauer.
Mit diesem Gedanken kam ich wesentlich leichter mit mir zurecht. Ich konnte mit mir auskommen. Dem Weg und der Natur.
Wir zusammen. Das war schön. Ich mochte mich da draußen.
Nach dem Urwald und den gewaltigen Wassern des Reisadalen, begrüßten mich zwei Adler zu Beginn des neuen Aufstiegs ins Fjäll.
Ich nähere mich Finnland. Dem Halti und seiner Anziehungskraft auf seine Landsleute.
Einen Tag kommen mir fast 35 Menschen entgegen. Weitere 10-15 überhole ich. In den Hütten zu schlafen undenkbar.
Ich fühle mich leicht überfordert. Anfangs fand ich diesen Gedanken lustig, später als er Ernst wurde, gar nicht mehr.
Sicher, viele Menschen sind es auf die Distanz und die Weite da draußen nicht.
Für mich ware es viel zu viele.
Nach einem halben Pausentag im finnischen Kilpisjärvi komme ich nur schwer wieder in meinen Wander-Rhytmus.
Es ist kalt.
Wolken und eine trübe Stimmung hängt über der Natur. Kann das sein, oder bin ich es der diese Stimmung verbreitet?
Das Övre Dividalen. Weites Fjäll, wilde Rauheit, Wind und Kälte.
Wind, oh so viel harter Wind.
Wie froh bin ich, das ich an zwei Tagen eine norwegische DNT Hütte nutzen darf. Mir verleiht die Gewissheit, das egal was der Tag bringt, ich abends eine Tür zu und einen Ofen anheizen kann, ein sehr entspantes Gefühl. Doch vorher führt kein Weg am Treriksröset vorbei. Ein gelber Stein der den Punkt markiert, an dem die Grenzen der drei skandinavischen Freunde (Norwegen, Schweden und Finnland) sich die Hand reichen. Und zudem der nördlichste Punkt von Schweden erreicht ist.
Gappohytta
Die Gappohytta erscheint wie ein magischer Ort als ich sie erreiche. Unter Schönwetterwolken, Sonne und von Wind umweht liegt sie dort oben wie ein Geschenk. In der ferne die Berge mit weißen Schneekronen. Ein Tal, ein Fluss und sein Rauschen und immer weit der Blick.
Allein zu sein an diesem Ort, das war so wunderbar. Wie friedlich und ruhig.
Ich hingegen mußte mich erstmal runterbringen so hibbelig hat mich das alles gemacht.
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